Montag, 13. Juli 2009

Erste Rückschau: Ironman Austria

Liebe Leute,

so, nun haben wir alles hinter uns. Leider konnte ich aus Klagenfurt bisher noch keinen Bericht schicken, denn die hatten ihr Pressezentrum original am Morgen nach dem Rennen schon abgebaut. Und dass der Twitter nur bis zur Hälfte gereicht hat, bitte ich auch zu entschuldigen. Aber Anna war während des Marathons einfach so nervös und aufgeregt, dass sie es nicht mehr geschafft hat.

v.l.: Das Team, Axel, Martin, Mathias, Rainer – mit Andrea aus Bergisch Gladbach (ein Lichtblick auf dem Foto, oder?!)

Martin konnte bis heute leider noch nicht seine Sicht der Dinge niederschreiben. Also muss ich hier direkt in medias res gehen. Bevor ich das allerdings mache, möchte ich ganz herzliche Grüße und vor allem auch ein großes Dankeschön an Martin in Wien senden – warum, dass erklärt sich später in meinem Rennbericht.

Ein herzliches Dankeschön auch an Maik und Florian, die den Ticker im Blog toll versorgt haben – auch wenn Annas Eindrücke (s.o.) irgendwann fehlten. Mensch, beim nächsten Mal müssen wir mal über einen coolen Livestream und Helmkamera nachdenken, oder?! Aber wird es ein nächstes Mal geben? Abwarten.

Juut, ich beginne diesen Eintrag während ich hinten im Auto sitze, und Anna Fürst-Rainer und mich die letzten 150 Kilometer nach Hamburg chauffiert. Womit soll ich aber bei meinem Rennbericht beginnen? Mit dem Startschuss? Oder mit den letzten Vorbereitungen an unseren Rädern in der Wchselzone, als wir vier (Berlin-Axel, Fürst-Rainer, Martin und ich) uns noch mal in den Arm genommen und uns Glück wünschten. Ja, das scheint mir ein guter Moment zu sein:

Die Neos schon bis zur Hüfte angezogen, griffen wir unsere Beutel (in denen nun unsere „Streetwear“ war) und bewegten uns Richtung LKW, der diese Beutel aufnehmen sollte. „Wo ist Deine Badekappe“, fragte mich Axel. Die Antwort lag tief unten im Streetware-Beutel. Super, alles rausprökeln, Kappe unter den Neorand klemmen und den Rest wieder in die Tüte. Keine drei Sekunden später: „Und Deine Schwimmbrille?“ Jepp, alles wieder raus aus der vermaledeiten Plastiktasche, Brille zur Kappe unter den Neo-Rand, und den Rest wieder in die Tasche. So, nun war aber wirklich alles Wichtige am Mann. Beutel abgeben und ab zum Schwimmstart.

Kurz vor dem Schwimmstart in der Wechselzone: Axel, Mathias, Rainer, Martin (v.l.)

Dort angekommen konnte ich (subjektiver Eindruck) deutlich Martins Anspannung spüren. Die machte sich Platz in der äußerst zielstrebigen Art und Weise, wie er sich durch die anderen Sportler den Weg bahnte, – oder auch frei räumte – um einen guten Startplatz zu ergattern. Ich selbst ließ es ein wenig ruhiger angehen – als nicht ganz so guter Schwimmer, dachte ich mir, könne ich weiter außen starten, um Prügeleien aus dem Weg zu gehen. Freilich ohne rechten Erfolg. Denn kaum fiel der Startschuss, ging es überall entlang der Startlinie, egal ob im rechten oder linken Blog, egal auch ob in der ersten oder meiner fünften Startreihe, mächtig zur Sache.

Weil ich mich in so einem Chaos sehr unwohl fühle, versuchte ich schnell noch weiter nach außen zu gelangen – dadurch fühlten sich andere Schwimmer bestimmt auch unwohl, denn ich schwamm zum Teil einfach über sie rüber. Und andere wiederum über mich. Das gute war indes, dass man keine Angst vor dem Wasserschlucken haben brauchte, denn das Nass des Wörthersees schmeckt wirklich gut.

Nach 1400 Metern um die erste riesen große rote Boje. Unglaublich, was selbst zu diesem Zeitpunkt des Rennens noch für ein Chaos herrschen kann. Ich bin zwar nicht der Schnellste in dieser Disziplin, aber ich investiere doch einige Energie dahingehend, dass ich mich relativ oft nach oben drücke, um einen kurzen Blick über die Wasseroberfläche zu erlangen und mich zu orientieren. Das scheint vielen anderen Triathleten indes fremd zu sein. Das geht rechts rüber, links rüber, und sofort wieder nach rechts. (Apropos: In Roth haben wir an diesem gerade vergangenen Wochenende sogar einen Athleten gesehen, der schon fast 50 Meter quer in die entgegen kommenden Konkurrenten geschwommen war, bevor er von einem Kajak-Fahrer umgelenkt wurde – wie kann so etwas passieren?).

Was man über die Schwimmstrecke in Klagenfurt sagen muss ist, dass sie recht kurzweilig ist. Erst 1400 Meter gerade, dann 400 links, 1200 wieder gerade zurück, und dann kommt der 800 Meter lange, aber nur 5 Meter breite Kanal. Vor diesem allerdings wird es richtig eng – und in ihm, je nachdem zu welchem Zeitpunkt man dort ankommt, auch. Da könnt Ihr mal den Fürst-Rainer fragen, der dachte, er schwimmt im Whirlpool. Ich selbst, so viel kann ich sagen, fühlte mich im Kanal sehr wohl. Denn Osnabrück-Matthias (der kurzfristig mit seiner Christin angereist war – 1000 Dank für Eure Mühen und Anfeuerungen!!) und vor allem natürlich Anna gingen fortan direkt neben mir her. Das machte mir so viel Spaß, dass ich die ganze Zeit lächeln und bei jedem zweiten Armzug winken musste – und darüber hinaus erstmals richtig schnell schwamm.

Mathias im Kanal (Foto: Matthias Fackler)

Wenige Minuten später war die erste Etappe geschafft. Durch die Wechselzone, Beutel gegriffen, „wo geht es längs?!“ geschrieen, und ab ins Umkleidezelt. Raus aus dem Neo – mal keinen Krampf in der Wade, was ich sonst öfter mal erleben! – Radschuhe an, Helm auf, Trikot über das brandneue Skinfit-Laufshirt (mit dem ich schon geschwommen war), Reisverschluss zu, Brille auf, noch mal „wo geht es längs?!“ gerufen, bestätigende Antwort erhalten, raus aus dem Zelt, hin zum Rad, das heiße Gerät geschnappt, und laufen, laufen, laufen. An meiner Seite plötzlich Martins Maria, die mich anfeuerte wie verrückt, mir aber auch mitteilte, dass ihr Liebster schon seit 7 Minuten weg sei – puh, das war viel Zeit. Aber egal, das Schwimmen lag hinter mir, dass Rennen konnte nun richtig beginnen.

Herrliche 20 Kilometer führt die Radstrecke zu Beginn am Wörthersee entlang. Und sehr schnell schon entdeckte ich ein „Pa’a“ und „Martin, Mathes, Axel, Rainer“ auf dem Asphalt. War ich gut gelaunt zu diesem Zeitpunkt, und auch ein Triabolos-Athlet, der es anscheinend etwas befremdlich fand, dass ich als Hamburger ihn grüßte – denn er grüßte etwas später nicht, worauf ich ihn wieder überholte und ihm sagte, dass wir Hamburger doch zusammen halten sollte – konnte daran nichts ändern. Radfahrer um Radfahrer passierte ich an deren linker Seite, und so huschten die Ränge nur so an mir vorbei.

Wenig später fand ich die ganze Szenerie jedoch überhaupt nicht mehr schön. Nämlich genau zu diesem Zeitpunkt, als ich registrierte, dass dies hier ein Windschattenliebhaber-Rennen war. Denn ab einem gewissen Zeitpunkt, wurde ich die Athleten, die ich überholte nicht mehr so schnell los. Und irgendwann sogar wendete sich das Blatt. Ich kam an die 200 Meter vor mir fahrende Meute in der Ebene nicht heran, während von hinten eine weitere 30 Mann starke Truppe in Mannschaftszeitmanier auf mich auffuhr. Ich verkaufte meine Haut teuer, und vor allem mit ehrlich! Die Quittung bekam ich am ersten ernstzunehmenden Berg. Nicht nur, dass diese Typen mich dort gestellt hatten, die hatten nur – weil sie ja im Energiesparmodus zu mir hingefahren waren – auch noch mehr Power für den Berg, während ich im kleinen Gang erst einmal wieder zu mir finden musste.

Gut, das war dann die erste Gruppe, die ich – zumindest beim Radeln nicht mehr wieder sah. Auf einer langen ganz leicht ansteigenden Geraden mit etwas Gegenwind konnte ich dann meinen Weg (vermeintlich) nach vorne weiter fortsetzen. Das könnt Ihr Euch so vorstellen: rechts alle 4 bis 7 Meter einen Athlet wie an einer Perlenkette aufgeschnürt, und links ich am quetschen, bis die Schenkel qualmten. Irgendwann war ich dann wieder allein auf weiter Flur – bis ich weit hinter mir (mittlerweile leicht bergab) einen großen Haufen Athleten, natürlich alle direkt hintereinander, entdeckte. Es dauerte nicht lange, und die zogen alle an mir vorbei. Wie ätzend ist das bitte?! Ich weiß ja, ich muss noch ein wenig ruhiger werden, manchmal bin ich einfach zu impulsiv, aber es war einfach der Zeitpunkt erreicht, wo ich mich echt ärgerte.

Denn es ist ja nicht nur so, dass man selbst ehrlich und alleine seine Kraft raus haut, während die anderen einen einholen, und wie beschrieben, sogar am Berg dann Körne übrig haben. Fast noch schlimmer ist, dass diese 30 Leute alle direkt vor einem einscheren. Dies wiederum bedeutet nach den geltenden Regeln, dass der Überholte sich zurück fallen lassen muss! Ich muss also für den Abstand von 7 Meter sorgen! Und das wiederum bedeutet, ich muss 30 Leute ohne Gegenwehr vorbei ziehen lassen, 2 Minuten die Beine hochnehmen, Hände an den Oberlenker legen und nichts tun!!! (Früher begann man selbst den Überholvorgang 10 Meter vor dem Vordermann, fuhr auf 1,5 Meter Abstand, und scherte erst 10 Meter vor ihm wieder ein – das war Männersport!)

Das soeben erlebte hat mich so dermaßen geärgert, dass ich die Kollegen nicht nur als Windschattenfahrer bezeichnet habe, ihnen darüber hinaus riet, ihre Räder doch mit Gummiseilen zu verbinden, sondern auch (nennt mich Denunziant) mich bei der mitfahrenden Wettkampfrichterin beschwerte. Diese Frau traf ich übrigens noch ein halbes Duzend mal, und immer konnte sie aufgrund meiner Fahrweise deutlich erkennen, dass ich sauber fuhr – was mich allerdings viel Zeit kostete (s.o.: Beine hoch, Oberlenker).

Das ging dann 150 Kilometer so weiter, und ich verpulverte viel Energie für Schimpfen und Diskussionen. Einige Szenen: Ein gewisser Kurt, der freilich schon ein Strafe auf seiner Nummer vermerkt hatte, und der immer wieder mit zwei anderen Leuten, 10 Minuten nachdem ich an ihnen vorbei gezogen war, aber 200 Meter vor ihnen einfach nicht mehr weiteren Boden gewinnen konnte, musste sich von mir anhören, dass er die Strafe sicher nicht ohne Grund bekommen hätte, oder dass ich, wenn die anderen beiden mich passiert hatte, schon auf ihn gewartet hätte. Natürlich beschimpfte er mich im Gegenzug, fragte was ich von ihm wolle, und ich solle doch einfach ruhig sein. (konnte ich aber nicht)

Ein Kurt hing einmal ungefähr 3 Meter hinter mir. Als ich mich umdrehte und ihn fragte, oder dies denn die geforderten 7 Meter sein, meinte er lächelnd „ja“. An seinem Tonfall konnte ich hören, dass er Kölner war und sagte ihm dies. Und weil er so unverfroren gelogen hatte, mir darüber hinaus jedoch sein Tonfall gefiel und mir in der zweiten Runde auch eh schon alles egal war, meinte ich, er hätte wenigstens Humor und solle ruhig hinter mir bleiben.

Ein weiteres Mal auf der langen zunehmend mit Gegenwind auf die Athleten wartenden leicht ansteigenden Geraden, passierte ich wieder eine Hundertschaft viel zu dicht hintereinander fahrender Athleten. Und mit einem Mal sprang einer dieser rechts fahrenden Kerle direkt an mein Hinterrad. „Bis Du bekloppt?!“, feuerte ich ihm, mich umdrehend entgegen, worauf er mit fragendem Gesichtsausdruck „Warum?“ stammelte. „Weil das Windschatten fahren ist!! Hau ab von meinem Hinterrad!!“, fauchte ich, was er prompt umsetzte. Ich könnte noch viele ähnliche Geschichten erzählen. So zum Beispiel die von der 20er Gruppe, die mich in Rosegg, kurz vor dem Berg an dem Matthias stand, passierte. Wieder konnte/musste ich die Füße hochheben. Als die Jungs jedoch den Fuß des kurzen Berges erreichten, nahmen diese auch die Füße hoch, weil keiner von ihnen die Truppe oben weiter ziehen wollte. Binnen Sekunden war Stau und ich – total verarscht – fast als Auffahrtäter bremsend. Bremsen, wo man eigentlich fahren, treten, Gas geben will!!!

Gruppe nach Rosegg am Berg. Gott sei Dank mein letzter Kontakt mit ihr. (Foto: Matthias Fackler)

Also ausgeschert, und links an der ganzen Bande vorbei. Kaum vorne angelangt, zogen die dann wieder an, weil sie ja nun wieder einen Windteiler hatten. Mit letzter Luft habe ich Matthias, der wie verrückt ein paar Meter neben mir her rannte, die Geschichte erzählt, worauf er – ebenfalls mit letzter Kraft – irgendwas schrie wie „Los Mathias fahr!! Und ihr Lutscher haut endlich ab!!“ Gott, da musste ich dann doch lachen. Das war sehr lieb. Allein, die anderen ließen sich nicht davon beeindrucken. In der folgenden ansteigenden Passage konnte ich die Jungs trotzdem loswerden. Und meine mir mittlerweile vertraute Kampfrichterin tauchte auch wieder auf. Ich sagte ihr, dass ich dass alles sehr traurig finde, worauf sie meinte, sie täte doch ihr Bestes, und ich würde doch tendenziell nach vorne kommen. „Weiß ich ja“, antworte ich, „Ich will mich ja nicht über Dich beschweren, ich brauche nur jemanden zum Reden.“

Zwei Minuten zuvor hatte ich übrigens meinen Nahmen gehört. Aber nicht von einem Marshall, sondern von Martin. Den hatte ich viel weiter vorne erwartet, und deshalb war er mir unter den Überholten nicht aufgefallen. Wir haben uns dann kurz unterhalten, wobei er jedoch meinte, dass er erst gar nicht versuchen würde, mit mir zu fahren, und somit war das ein kurzes Freundschaftstreffen inmitten der Strecke. Gegen Ende der Radrunde war es dann um mich herum sehr ruhig. Und als ich nach 4:59 Stunden Radfahren von demselben herunter sprang, war ich eigentlich sehr zufrieden – allerdings währte dieses Gefühl nur für ganz wenige Sekunden.

Denn während ich mit meinen seit Stunden in nassem Klima stehenden Füßen barfuss über den heißen Asphalt der Wechselzone lief, spürte ich, wie sich die Haut unter meinen rechten Fußballen ablöste. Oh nein, das durfte doch nicht wahr sein. Ein Blick unter den Fuß, den ich mir im Wechselzelt gönnte, machte jedoch klar, es war wahr.

Tatsächlich war mein erster Gedanke, einfach aufzuhören. Mit einer solchen Blase konnte man keinen Marathon laufen. Und erst recht konnte ich damit meine Erwartungen an mich selbst nicht erfüllen. Keine Ahnung warum ich es tat, aber ich lief dennoch los – nur um in den ersten Kurven die durch die Wechselzone führten zu spüren, dass es so nicht gehen würde. Und wenn doch, dann nur ganz ganz langsam. Joggen würde ich vielleicht können, vielleicht. Eher traben. Auf jeden Fall nicht laufen.

So sah die Blase frisch nach dem Rennen aus. Schwer zu fotografieren, deshalb habe ich versucht sie zusammen zu schieben

Ich kann Euch nicht sagen, wie sehr enttäuscht ich zu diesem Zeitpunkt war. Ohne Witz, ich hatte vor dem Rennen gebetet, dass es diesmal doch bitte alles normal verlaufen sollte. Allein, der Adressat meiner Bitte hatte wohl was anderes mit mir vor. Und ich wollte doch eigentlich auch mein Fell, sprich meinen kleinen 3-Minuten-Vorsprung vor Martin, zumindest für einen guten Preis verkaufen. Aber alle meine Erwartungen, schienen sich mit den wenigen Sekunden barfuss über den Asphalt der Wechselzone erledigt zu haben.

Jetzt muss man noch erwähnen, dass die Klagenfurter Strecke total viele kleine verwinkelte Ecken hat. Keine Ahnung, 30? Dazu eine Passage von 30 Metern, die über eine quer hängende Wiese in einem Freibad verläuft. Ich konnte schon so kaum auftreten, aber in jeder dieser Ecken und Passagen, und waren es auch nur ein paar Meter über schlechten Asphalt, dachte ich, man reißt mir die Haut unterm rechten Fuß weg – ohne Narkose, oder irgendeine Alternative Bewegungsform, mit dem ich hätte diesem Schmerz ausweichen können.

Als ich nach nur 2 Kilometern das erste Mal bei Anna, Maria, ihrer Familie, Martins Familie und Susanne und Thomas aus Wedel (die sind auch extra wegen uns nach Österreich gereist – auch hier 1000 Dank für Alles!!) vorbei kam, war ich total gefrustet, genervt, hatte Tränen in den Augen. Ich fand das alles ungerecht. Hätte der Veranstalter nicht Teppiche in die Wechselzone legen können? Hätte er nicht bei der Wettkampfbesprechung wenigstens noch einmal darauf hinweisen können? Fragen ohne Antworten. Ich fand einfach alles zum heulen. Ich würde so keinen guten Marathon laufen können, und neben alle denjenigen die mich eh schon auf den ersten 2 Kilometern passiert hatten, würde es auch nur noch ein paar weitere Minuten dauern, bis Martin an mir vorbei stürmen würde. So langsam wie ich war, würden wir noch nicht mal Zeit für einen kurzen Plausch haben.

Tatsächlich aber kam es anders. Irgendwo zwischen Kilometer 10 und 17 – wo die Strecke etwas weniger Kurven beinhaltete und Bäume Schatten spendeten, konnte ich mich fangen. Und ganz langsam aber sicher nahm ich ein vernünftiges Tempo auf. Beim Wendepunkt nach 17/18 Kilometern, traf ich Martin und hatte ungefähr 3 bis vier Minuten Vorsprung. Ich sah ihn schon von weitem und feuerte ihn an – und er mich ebenso. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwei Gedanken. Einen Guten und einen nicht so Schönen. Der nicht so Gute war, dass Martin anscheinend absolut nicht auf Kurs zur Traumzeit war, was ich sehr schade fand. Der Bessere war, dass es zumindest noch ein paar Kilometer dauern würde, bis er mich erwischte, weil ich wie gesagt etwas flotter geworden war, und zumindest kein absolutes Mist-Rennen machen würde.

Wie in jedem Ironman-Rennen wieder an meinem Handgelenk: Mein Startbändchen mit der Aufschrift "Wille ist Alles!" Und da habe ich verdammt oft beim Laufen drauf geguckt!!

Von Meter zu Meter konnte ich nun mehr Fahrt aufnehmen (zumindest gefühlt!), und auch wenn ich von Beginn an durch jede Verpflegungsstelle ging (was ich ohne Blase und Frust nicht gemacht hätte, aber die Traumzeit war ja auch bei mir längst verpfuscht), so konnte man das, was sich zwischen den „Labestationen“ (österr.) abspielte nun wirklich mit Laufen bezeichnen. Irgendwo bei Kilometer 21, auf der heißen Westschleife hatte ich gefühlt wieder ein wenig eingebüßt, kam ich wieder bei Anna und den Anderen vorbei, und das tat richtig gut. Anna sprintete neben mir her, und schon mein Blick auf ihre Anstrengung verriet mir, dass ich nun endlich gut unterwegs war. Zu diesem Zeitpunkt lag Martin 8 Minuten hinter mir zurück, und so leid es mir für ihn tat, dass er auch sein Traumziel nicht erreichen würde, so sicher war ich mir, dass ich von hier an immer stärker werden würde. Es ist schon verdammt komisch, wie sich die Dinge während eines solchen Rennens verändern. Aber es ist eben auch genau so, wie ich es dem Team im vergangenen Jahr immer gesagt habe: Man macht viele Höhen und Tiefen durch an einem solchen Tag. Und das Wichtigste ist, immer die Ruhe zu bewahren. Phasen kommen und Phasen gehen, Gute und Schlechte, und durch jedwede muss man durch.
Eben noch hatte ich nicht mehr aus dem Wechselzelt hinaus laufen wollen, und nun, eineinhalb Stunden und unendliche viele Schmerzmomente später, spürte ich enorme Zuversicht in mir.

Und nun komme ich zu Wien-Martin: An einer Kurve hinter der Wechselzone, direkt zu Beginn der Laufstrecke, stand ein junger Mann, der mich gezielt und wahnsinnig positiv anfeuerte. Das hat man heutzutage natürlich öfter, denn unsere Namen stehen ja auf der Startnummer. Aber irgendwas war besonders, das spürte ich. Ich dachte, er feuere mich an, weil er sah, dass ich es zu Beginn des Marathons wirklich sehr dringend nötig hatte – und das hatte ich, wie erwähnt. Bei Kilometer 10 das gleiche Spiel. Schon da freute ich mich, diesen Kerl zu sehen, der sich anscheinend auf mich eingeschossen hatte. (So was ist mir übrigens in Zürich auch schon einmal mit einem wildfremden Zuschauer passiert. Da freute ich mich bei jeder Runde darauf, wieder dort vorbei zu kommen, wo ein bestimmter Zuschauer immer irre freundlich lächelte und unermüdlich klatschte.)

Dieser Zuschauer in Klagenfurt muss, weil er ja anscheinend genau beobachtete, registrieren, wie sich mein Zustand, meine Blicke und meine Körpersprache veränderten. Und als ich bei Kilometer 27 bei ihm vorbei kam, da hatte sich mein anfangs verzweifelter Blick – wie ich glaube – schon deutlich zum Positiven hin verändert. Als ich dann, 600 Meter vor der Ziellinie und kurz vor dem großen Regen, wieder dort vorbei kam, und mich der Typ erneut sah, da zeigte ich mit ausgestrecktem Arm auf ihn, und wollte ihm mit nickendem Kopf und wissendem Blick zeigen, dass ich ihm dankte. Nun im Nachhinein – siehe langen Kommentar im vergangenen Blog-Eintrag – weiß ich, dass es unser treuer Blog-Leser Wien-Martin war. Und nun frage ich mich, ob er gesehen hat, dass ich nach meinem letzten Gruß an ihn, so gut gelaunt und zufrieden war, dass ich einen von hinten heranstürmenden Athleten bereitwillig die Innenbahn einer Kurve überließ, weil ich 1. mich nun nicht mehr auf der engen Innenbahn quälen wollte, und 2. es mir nicht mehr auf den einzelnen Platz ankam, weil ich so glücklich und zufrieden war, dass ich dieses zwischenzeitlich vermaledeite Rennen doch noch wenden hatte können.

Martin, wenn Du die eben beschriebene Szene bemerkt hast, dann lass Dir sagen, neee, der Typ hat mich nicht mehr gefangen, ich bin nach unserem letzten Gruß so schnell und Energie geladen gelaufen, dass er es einfach nicht mehr hinbekommen hat.

Ein zwei Kurven noch, Martin und Christin 100 Meter vor dem Ziel noch abgeklatscht, die Anderen Freunde nicht mehr richtig wahrgenommen, weil das Glück einfach unbeschreiblich groß war, und ab auf die Zielgerade. Gott, ich war so glücklich, dass ich – zum ersten Mal in meinem Leben bei einem Ironman-Rennen – sogar einem anderen Athleten, den ich locker hätte übersprinten können, den Vortritt ließ. Dann die ein Meter hohe Rampe hoch (9:49 Stunden), und alles nur noch bunt und hell, und prickelnd und leicht, und gute Laune, Freude, Glück!

Dann kam Anna, und alles war noch besser. Und von der Massagebank aus, sah ich auf einem großen Monitor, Martin (nach 10:11 Stunden) mit seiner Nichte Jael ins Ziel laufen – so wie er es ihr immer versprochen hatte. Das war super! Ich also von der Bank runter (mein Gott, wie schwer war das?!!) und in Alufolie gehüllt raus in den Regen, um ihn zu umarmen. Das war ein langer Weg, den wir zusammen gegangen sind – nicht nur an diesem Tag!

Der Rest war dann sehr cool. Wir haben noch im Massagezelt auf Fürst-Rainer (super Leistung von 10:37 Stunden im ersten Ironman) und Axel (ebenfalls sehr gute 12:10 Stunden) gewartet. Für mich ist die Zeit in diesem Zelt eigentlich immer die Schönste. Dort isst und trinkt man etwas, und man lächelt die ganze Zeit. Die Helfer und Service-Leute lächeln zurück und alles ist Sonnenschein – auch im strömenden Regen von Klagenfurt.

So sieht der Fuß nach "Operation-Hautweg" aus

Juut, ich glaube ich habe eh schon zu viel geschrieben – und doch viele Gedanken unterdrückt – so dass ich für heute mal aufhöre. Wenn Ihr mögt, dann schreibe ich am Mittwoch oder Donnerstag weiter. Dann kann Martin noch was beisteuern, und ich kann auch noch mal einiges Grundsätzliches Revue passieren lassen.

Für heute aber muss es reichen. Ich hoffe, Ihr könnt mit meiner Sicht der Dinge ein paar Lücken in der Live-Berichterstattung aus Klagenfurt füllen.

Und vergesst nicht: Mittwoch, 18.30 Uhr auf dem Altonaer Balkon, Post-Ironman-Grillen. Martin wird da sein, Fürst-Rainer, Dirk Radtke (war am Sonntag in Roth am Start) und einige andere Trainingspartner und Blog-Leser. Jeder bringe bitte Essen und Trinken für den Eigenbedarf mit!

Also bis Mittwoch. Herzlichst, Euer mathias

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Toller Bericht. Hut ab vor der Leistung.

Hättest mal in Frankfurt starten sollen. Im Bereich der Hawaii-Quali, war teilweise echtes RTF-Feeling auf dem Rad zu spüren :-( Bin ähnlich impulsiv wie Du. Muss man wohl heutzutage bei den Rennen abstellen.

Gruss CT

P.S. Und ... nicht alle Triabolos sind so - ehrlich; obwohl ich von so einem Verhalten auch schon in Frankfurt von einer TriMicheline gehört habe, die ich überholt habe und aufgemuntert habe, dass man als "Triabolo" nicht zurückgegrüsst hätte.

RoadrunnerHH hat gesagt…

Super Leistung und ein toller Bericht.
Freue mich auf die Live-Berichte am Mittwoch.

Bis dahin

Florian

Tim hat gesagt…

Wow sehr geiles Rennen muss das gewesen sein.
Aber mal ganz im Ernst Mathias: Das klingt verdammt nach Heißhunger nach noch einem Ding wie diesem im nächsten Jahr ;-)

Ich hab gestern in Itzehoe meine erste Olympische Distanz in 2:18:53 gefinisht. Naja, hab durch die Abifeiern in letzter Zeit leider nicht so viel trainieren können...

Grüße
Tim

Anonym hat gesagt…

Hi Mathias & Martin,

habe leider durch 2 woechigen Urlaub nur offline mitfiebern koennen und gerade erst alles nachgelesen.

Hammergeil!

Und wie man mit so ner Blase im Rennen und monatelangen Schienbeinbeschwerden im Training einen 3:34er Marathon im Ironman laeuft musst Du mir mal bei einem Bierchen in Hueckeswagen erklaeren. Unfassbar...

Wuensche eine gute Genesung und hoffe auf weitere Berichte und neue Plaene.

Gruesse aus Bukarest (ab August wieder aus Ratingen)
Soeren

Anonym hat gesagt…

Noch eins. Aber ich denke, das duerftet Ihr wohl schon wissen.

Unter marathon-photos.com gibts ein paar Bildchen von Euch und, was viel geiler ist, ein paar nette Videosequenzen von Schwimmexit, Rad und Ziel. Sehr schoen und man kann die Emotionen recht gut erkennen... ;-)

Bis denne
Soeren

Anonym hat gesagt…

Hi Mathias,

toller Bericht. Aber dein Fuß, mmh, musst du den in die Kamera halten? Dass tut ja schon beim Zusehen weh. Kannst du überhaupt schon wieder richtig auftreten?

Großes Lob für deinen Biss, trotzdem weiterzumachen. Was sagt denn Anna dazu?

Ich werde übrigens nächstes Jahr in Klagenfurt an den Start gehen.

Schönen Gruß aus Innsbruck

Fabian